Übersicht, Analyse und Vergleich Starkniederschlagsereignisse Juli / August 2021 (Mitteleuropa)
28. September 2021 – Report No. 1
Autor: Bernhard Mühr
1. Übersicht
Im Sommer 2021 ereigneten sich in Mitteleuropa zwei außergewöhnliche größerflächige Regenereignisse, die jeweils gebietsweise mit mehr als 100 mm Regen innerhalb von 24 Stunden einhergingen. Während das erste am 14.07.2021 im Westen Deutschlands in Teilen von Nordrhein-Westfalen, von Rheinland-Pfalz sowie des benachbarten Auslandes verheerende Überschwemmungen auslöste, ging das zweite Regenereignis am 22./23.08.2021 im Osten Deutschlands nahezu geräuschlos über die Bühne. Zwar erreichten die Regenintensitäten und absoluten Regenmengen im Osten Deutschlands nicht ganz die Werte wie fünf Wochen zuvor im Westteil des Landes, doch die Pegel fast aller Flüsse in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen präsentierten sich gänzlich unbeeindruckt. Hochwasser gab es dort nicht.
In beiden Fällen zeigt die europäische Großwetterlage ein ähnliches Grundmuster: Ein abgeschlossenes Höhentief, das zwei bis drei Tage zuvor einem Abschnürungsprozess im Südteil eines nordwesteuropäischen Höhentroges entsprang, etablierte sich über Mitteleuropa (Abbildung 1). Dort wurde es für 48 bis 72 Stunden quasi-stationär und löste über einer Fläche von 10.000 bis 20.000 km² Niederschläge aus, die dort zwischen 50 und 150 mm erreichten. Die Regenfälle dauerten jeweils zwischen 18 und 24 Stunden lang an, die Regenintensitäten lagen in der Spitze bei 30 bis 40 mm pro Stunde. Der Lage der Rotationszentren der beiden zu vergleichenden Druckgebilde entsprechend gingen die intensiven Niederschläge rund 400 Kilometer voneinander entfernt nieder.
Beim Regenereignis im Juli lag das Rotationszentrum des Höhentiefs am 14. Juli 2021, 12 UTC, über Süddeutschland, das zugehörigen Bodentief „Bernd“ hatte sein Zentrum am Nachmittag und Abend über Nordwestdeutschland. Das Zentrum des Höhentiefs am 23. August 2021 konnte gegen 06 UTC etwas weniger kräftig ausgebildet über dem östlichen Mitteleuropa analysiert werden und überdeckte vor allem den Raum Sachsen, Erzgebirge, Tschechien. Das Zentrum des korrespondierenden Bodentiefs „Manfred“ erstreckte sich als Tiefdruckrinne von Südwestpolen bis Sachsen.
Hohes Geopotential bzw. hoher Luftdruck umschloss dabei jeweils die mitteleuropäischen Tiefdruckgebilde. Beim Juli-Regenereignis trat insbesondere das Bodenhoch „Dana“ über den Azoren/Ostatlantik in Erscheinung; am 23. August 2021 erstreckte sich ein riesiges Gebiet hohen Luftdrucks vom Ostatlantik (Hoch „Gaya“) über die Biskaya und Skandinavien bis nach Spitzbergen und mit dem Hoch „Fridoline“ hatte sich zudem über Rumänien/Schwarzes Meer ein weiteres kräftiges Hochdruckgebiet etabliert (Abbildung 2). Solche großräumigen Strömungsmuster erweisen sich in den meisten Fällen als recht stabil und bleiben in ihren Grundzügen oft mehrere Tage lang erhalten. Intensiver Regen tritt dann manchmal innerhalb eines zwei- bis viertägigen Zeitraums in konzentrierter Form über verschiedenen Regionen auf, denn trotz der Quasi-Stationarität zeigen die Druckgebilde kleinere Verlagerungstendenzen. Das Tief „Bernd“ zeichnete beispielsweise am 17. und 18. Juli 2021 auch für ergiebige Regenfälle im Nordalpenraum verantwortlich, die sich vom Allgäu über das Chiemgau und das Berchtesgadener Land bis nach Oberösterreich vielerorts auf mehr als 100 mm summierten, und örtlich zu großen Überschwemmungen und erhebliche Schäden führten (zum Beispiel Bob- und Rodelbahn am Königssee). Hier machten sich an und vor den bis über 2000 Meter hoch aufragenden Alpen zusätzliche niederschlagsverstärkende Prozesse bemerkbar.
Den Nachschub an Feuchtigkeit bewerkstelligte jeweils eine recht kräftige Strömung in der unteren und mittleren Troposphäre (Abbildung 3), die die feuchte Luft in einem weiten Bogen um die Tiefdruckgebiete herum aus Nordosten in die betroffenen Regionen verfrachtete. Mit einer Rückwärts-Trajektorienanalyse (hier nicht durchgeführt) ließen sich die Feuchtigkeitsquellen identifizieren – vermutlich hatten die feucht-warmen Luftmassen ihren Ursprung im Raum Schwarzes Meer, zentraler Mittelmeerraum oder auch die Landmassen Südosteuropas, wo intensive Verdunstungsvorgänge ebenfalls zu einer Feuchte-Anreicherung der unteren und mittleren Troposphäre beigetragen haben können.
Die DWD-Radolan-Daten liegen in einer horizontalen Auflösung von 1 km x 1 km vor, dabei werden auch Stationsmesswerte berücksichtigt; die Auswertung dieses Datensatzes ergibt eine Bevölkerungsanzahl von rund 1.6 Millionen und eine Fläche von knapp 2300 km², die am 14.07.2021 von einer Niederschlagssumme von mehr als 100 mm innerhalb von 24 Stunden betroffen war; im wesentlich dünner besiedelten Osten Deutschlands kamen mehr als 100 mm beim insgesamt etwas schwächeren Regenereignis am 23.08.2021 nur auf einer Fläche von 153 km² zusammen, auf der knapp 27.000 Personen leben. Mit gut 35.000 km² unterscheidet sich die Fläche mit mindestens 25 mm innerhalb von 24 Stunden bei beiden Regenereignissen nur wenig voneinander. Die Größenordnung der beiden Niederschlagsereignisse war also ähnlich, nur bei der Intensität hat der 14.07.2021 deutlich die Nase vorn (Tabelle 1).
Tabelle 1: Übersicht und Vergleich der in Deutschland aufgetretenen Regenmengen am 23.08.2021 und am 14.07.2021, jeweils 24-stündig bis zum angegebenen Zeitpunkt, aufgeteilt nach Regenintensitäten, Anzahl/Anteil der betroffenen Bevölkerung und der betroffenen Landesfläche. Berechnung auf Grundlage der DWD-Radolan-Daten.
Abbildung 4 illustriert für beide Niederschlagsereignisse, welche Niederschlagsmenge anteilig auf der Landesfläche Deutschlands (rund 357.000 km²) niederging. Mit einer Regenmenge von bis zu 20 mm war am 23. August 2021 sogar eine größere Landesfläche betroffen als am 14. Juli 2021. Bei größeren Regenmengen allerdings setzte sich immer mehr der 14. Juli 2021 durch, mehr als 100 mm kamen beim August-Regenereignis praktisch nicht mehr vor.
2. Niederschlagsverteilung in Deutschland
In die Auswertung gelangte jeweils ein 24-stündiger Zeitraum, der die 24 Stunden mit der stärksten Niederschlagsaktivität umfasst und nicht dem üblichen Tagesniederschlag entspricht, der routinemäßig im Zeitraum von 05:50 UTC bis 05:50 UTC des Folgetages gemessen wird. Das Regenereignis im August bezieht sich somit auf den Zeitraum vom 22. bis zum 23. Juli August, jeweils 14:50 UTC; für das Juli-Regenereignis wurde der Zeitraum vom 13. bis zum 14. Juli 2021, jeweils 21:50 UTC gewählt. Die jeweils niederschlagsträchtigsten 24-Stunden-Zeitabschnitte lassen sich aus dem Verlauf der Stundenwerte des Niederschlags an 4 Stationen aus dem Messnetz des Deutschen Wetterdienstes ersehen (Abbildungen 5a und 5b).
Am 14. Juli 2021 regnete es insbesondere im Westen Deutschlands ergiebig, mehr als 50 mm innerhalb von 24 Stunden waren es in den zentralen Teilen, im Süden und Südwesten von Nordrhein-Westfalen sowie im Nordwesten von Rheinland-Pfalz. Mehr als 100 mm gingen gebietsweise im Sauerland und in der Eifel nieder, aber auch Köln oder Düsseldorf verzeichneten jeweils mehr als 100 mm (Abbildungen 6a).
Das Gebiet mit Regenmengen von mehr als 50 mm am 23. August 2021 erstreckt sich vom Nordosten Thüringens über den Süden von Sachsen-Anhalt und den Norden Sachsens in einem Streifen über das südliche Drittel Brandenburgs bis zur polnischen Grenze. Nur in kleinen Gebieten konnten mehr als 100 mm registriert werden (Abbildungen 6b) .
Tabelle 2: Verteilung des 24-Stunden-Niederschlags auf diskrete 25 mm-Intervalle (Warnstufen 0 bis 4) sowie die in Deutschland betroffene Fläche und Bevölkerung (relativ und absolut). Oben: 14.07.2021, unten: 23.08.2021
3. Niederschlagsverteilung in unterschiedlichen Gebietsgrößen
Die Auswirkungen von Starkniederschlagsereignissen hängen davon ab, über welchem Gebiet und in welchem Zeitraum extreme Niederschlagsmengen niedergehen. Bei größerflächigen Regenereignissen kommt der Verteilung des Niederschlags in den Einzugsgebieten kleinerer oder mittelgroßer Flüsse besondere Bedeutung zu. An großen Flüssen wie Rhein, Donau oder Elbe entwickelt oder verschärft sich ein Hochwasser über Tage hinweg und hängt zudem noch ganz maßgeblich von der zeitlichen Abfolge und dem Eintreffen der Hochwasserwellen und -scheitel der Zuflüsse ab. An kleineren und mittelgroßen Flüssen mit einer Länge von bis zu 100 km und Einzugsgebieten in der Größenordnung von 500 bis 1000 km² entsteht ein Hochwasser hingegen rasch innerhalb weniger Stunden und oft schon während des Niederschlagsereignisses. Weitere Einflussfaktoren wie Landnutzung oder die Vorwitterung bleiben bei dieser Betrachtung unberücksichtigt.
Versicherungen haben oft ein Interesse an der Verteilung des Niederschlags bzw. aufgetretener Überflutungsschäden in Postleitzahlgebieten. Hydrologische Betrachtungen erfolgen hingegen für Einzugsgebiete, die wiederum bis hin zu den einzelnen Quellflüssen unterteilt werden können. Und statistische Betrachtungen, die sich auf gleichmäßig über die Fläche verteilte Rasterzellen beziehen, erlaubt unabhängig von hydrologischen, postalischen, politischen oder naturräumlichen Grenzen Aussagen beispielsweise darüber, über welche Flächen bestimmte oder maximale Niederschlagsmengen auftreten können und wie häufig sie das tun.
Abbildung 7 zeigt für beide Niederschlagsereignisse die über die PLZ-Gebiete gemittelten 24-stündigen Niederschlagsmengen und Tabelle 3 listet die jeweils 20 PLZ-Gebiete mit den im Flächenmittel größten Niederschlagsmengen auf.
Tabelle 3: Verteilung des 24-Stunden-Niederschlags auf die PLZ-Gebiete. Liste der jeweils 20 PLZ-Gebiete mit den im Mittel größten Niederschlagsmengen. Links: 14.07.2021, rechts: 23.08.2021
Tabelle 4: 24-stündige Niederschlagsmengen im Flächenmittel der Flusseinzugsgebiete Deutschlands.
4. Niederschlagsmengen im Vergleich mit DWD-KOSTRA 2010
Mit KOSTRA 2010, der koordinierten Starkniederschlagsregionalisierungen und -auswertungen, stellt der DWD ein Werkzeug zur Verfügung, das Aussagen über die Höhe und Eintrittswahrscheinlichkeiten von Starkregenereignissen an einem beliebigen Ort in Deutschland erlaubt. KOSTRA liefert Informationen für verschiedene Dauerstufen des Niederschlags und dessen Jährlichkeiten und dient allgemein in Deutschland als Bemessungsgrundlage für Niederschlagsabflüsse und die Dimensionierung von Anlagen. Für jeden Ort können so die nach KOSTRA gültigen Niederschlagswerte für verschiedene Dauerstufen des Niederschlags und deren Jährlichkeit bzw. Wiederkehrperiode in Erfahrung gebracht werden. Auf die Beschreibung der genauen Methodik und Schwächen des KOSTRA-Verfahrens wird im Rahmen der vorliegenden Betrachtung verzichtet. Es dient hier zu Bewertung der am 14.07.2021 und am 23.08.2021 innerhalb eines 24-stündigen Zeitraums aufgetretenen Niederschlagsmengen.
Kostra-Werte für Jährlichkeiten von Niederschlägen bestimmter Dauerstufen (zum Beispiel eine Stunde, 12 Stunden oder 24 Stunden) stehen jeweils für Rasterzellen mit einer Seitenlänge von 7 km zur Verfügung.
Die Abbildungen 11 a und b zeigen die Rasterzellen, in denen der während der beiden Niederschlagsereignisse aufgetretene Niederschlag die nach KOSTRA gültigen Werte für ein hundertjähriges Ereignis (Dauerstufe 24 Stunden) übertraf. Die Grundlage der Berechnung bildet der jeweils höchsten RADOLAN-Wert auf einer Fläche von 1×1 km² innerhalb einer 7×7 km² KOSTRA-Rasterzelle. In allen farblich hervorgehobenen Zellen konnten nach RADOLAN 24-stündige Niederschlagsmengen verzeichnet werden, die höher lagen als die für diese Zellen nach KOSTRA berechneten Werte mit einer Wiederkehrperiode von 100 Jahren. In den dunkelrot eingefärbten Bereichen übertraf der gefallene Niederschlag die Werte eines 100-jährigen Ereignisses nach KOSTRA gleich um mehr als 50 mm!