Gewitter / Hagel  Juni 2019 (Mitteleuropa)

14. Juli 2019 – Report No. 1

Autoren: Bernhard Mühr, Jannik Wilhelm, Christian Latt, Maren Glattfelder, Fabian Siegmann

Abbildung 1: Hagel in Bayern am 10. Juni 2019. Foto: Marco Kaschuba

1. Zusammenfassung

Der Juni 2019 machte in Sachen Wetter in vielerlei Hinsicht auf sich aufmerksam. Er ging als weltweit wärmster Juni aller Zeiten in die Annalen ein, und auch in Deutschland erklomm der Juni 2019 den ersten Platz auf der Liste der wärmsten Junimonate seit Aufzeichnungsbeginn im Jahre 1881. In Südfrankreich wurde mit 45.9°C eine neuer Allzeitrekord der Temperatur festgestellt und der bisherige Rekord um fast 2 K geradezu pulverisiert. Zu einem neuen deutschlandweiten Jahreshöchswert der Temperatur reichte es zwar nicht, dennoch war es mit 39.6°C in einem Juni in Deutschland noch nie so warm.

Besondere Aufmerksamkeit verdient aber darüber hinaus auch die gebietsweise rege und intensive Niederschlags- und Gewitteraktivität, die insbesondere vom 10. bis zum 12. Juni 2019 im Südosten und Osten des Landes größere Schäden anrichtete. Hagel mit einem Durchmesser von einigen Zentimetern Durchmesser hinterließ zahllose zerstörte Autoscheiben und Dachfenster, vor allem in Teilen Münchens sowie in den Landkreisen Freising, Dachau, Landsberg/Lech, am Ammersee und Wörthsee und im Landkreis Kaufbeuren. Die Versicherungskammer Bayern berichtete kurz nach dem Hagelereignis am Pfingstmontag, 10. Juni 2019, in einer ersten Schätzung bei rund 10.000 Schadenfällen von einem Schadenaufwand von 30 Millionen Euro. Zahllose Bäume stürzten bei Orkanböen bis 120 km/h um, im Bahnverkehr kam es zu erheblichen Einschränkungen und auch am Flughafen München zu Verspätungen und Flugausfällen.

2. Meteorologische Information

2.1. Superzellen

Großkörniger Hagel mit Korndurchmessern von einigen Zentimetern ist in der Regel mit einer besonderen Form von Gewitterzellen verbunden, den sogenannten Superzellen. Diese Art von Gewittern ist es, die häufig auch Böenlinien und Windböen in Sturm- oder Orkanstärke produzieren, hohe Blitzraten aufweisen und die stärksten Tornados hervorbringen.

Superzellen weisen als besondere Eigenschaft einen um eine vertikale Achse rotierenden Aufwindbereich auf, der bis in die oberen Wolkenpartien vordringt. Die Rotation kommt durch starke vertikale Windscherung zustande, also eine Änderung der Windgeschwindigkeit und der Windrichtung mit der Höhe. Einer starken Windscherung verdankt der Superzellen-Gewitterkomplex die klare räumliche Trennung des Aufwindbereiches von den in der Wolke abwärts gerichteten Strömungen wie beispielsweise im Bereich des heftigsten Niederschlags. Diese Ko-Existenz von Auf- und Abwindbereichen kann der Superzelle oft eine ungewöhnlich lange Lebensdauer von etlichen Stunden (bis zu 12) verleihen.

Mit dem rotierenden Aufwindbereich und der eigenständigen Zirkulation, die sie am Leben erhält, können solche Gewitter Zugbahnen von mehreren hundert Kilometern Länge haben. Sie überqueren dabei selbst Gebiete mit eigentlich ungünstigen atmosphärischen Umgebungsbedingungen, wobei sie sich vorübergehend abschwächen, um sich anschließend wieder zu regenerieren. Oft ergibt sich so eine mehr oder weniger geradlinige Zugbahn, entlang der immer wieder Unterbrechungen und unterschiedliche Intensitäten des Niederschlags und des Hagels auftreten.

Ihre Energie beziehen alle Gewitter letztlich aus der in der Atmosphäre enthaltenen Feuchtigkeit, die in besonders warmer Luft ihre größten Werte annimmt. Allerdings spielt auch die vertikale Verteilung der Feuchtigkeit eine wichtige Rolle, genauso wie eine große atmosphärische Instabilität, wie sie sich beispielweise mit CAPE Werten beschreiben lässt.

Zur Auslösung der Gewitter bedarf es eine zusätzlichen Antriebs, wie ihn kräftige Sonneneinstrahlung, lokale Windsysteme, frontale Systeme oder Höhentröge bereitstellen können.

Abbildung 2: Superzelle bei Landau/Isar, 10.06.2019. Foto: Tobias ter Hell

2.2. Meteorologische Bedingungen, 10.-12.06.2019

2.2.1 Großräumige Druckverteilung

Die über drei Tage (10.-12. Juni 2019) gemittelte Verteilung der 500 hPa-Geopotentialfläche zeigt über dem Nordatlantik und Europa eine überaus stabile Konfiguration: Das Langwellenmuster ähnelt einer Omegasituation, bei der die Hauptisohypse die Form des griechischen Großbuchstabens „Omega“ beschreibt (Abbildung 1). In Mitteleuropa kennen wir solche Luftdruckkonstellationen vor allem aus dem Winter, die dann oft wochenlang mit einer stabilen Hochdruckwetterlage einhergehen.

Vom 10. bis zum 12. Juni 2019 tritt in der mittleren Troposphäre ein mächtiger Höhenrücken in Erscheinung, der sich von den Azoren über Island bis über den Osten Grönlands aufwölbt. Ihn flankieren zwei Langwellentröge, im Westen stößt ein Trog von der Südspitze Grönlands bis ins Seegebiet südöstlich von Neufundland vor, im Osten verläuft die Achse eines weiteren Troges von Schottland über Spanien bis nach Marokko. Vom westlichen Mittelmerraum ausgehend hat sich über Nordwestitalien, dem Alpenraum und Deutschland eine stramme südwestliche Strömung etabliert, die nach Norden hin diffluent wird, über Südskandinavien und dem Ostseeraum antizyklonal umbiegt und einen weiteren und breiten Höhenrücken  über Osteuropa stützt. Deutschland liegt der hebungsaktiven Vorderseite des Troges unter leichtem Tiefdruckeinfluss, in Bodennähe herrschten an allen drei Tagen nur geringe Luftdruckgegensätze. Ab dem 11. Juni 2019 konnte eine quasi-stationäre Luftmassengrenze analysiert werden, die als wellender Frontenzug von Nord nach Süd durch Deutschland verlief und sich bis in den Mittelmerraum erstreckte. Das zugehörige Tief „Klaus“ lag mit seinem Zentrum am 11. Juni 2019, 00 UTC, in einer von Südengland bis Dänemark reichenden Tiefdruckrinne. Tags darauf gewann das Bodentief „Klaus“ etwas an Kontur und sein Zentrum konnte nun deutlicher im Bereich Biskaya/Westfrankreich ausgemacht werden. Gleichzeitig bekam das Gebiet relativen Tiefdrucks über dem östlichen Mitteleuropa ebenfalls einen Namen: „Jörn“ (Abbildung 4). Dieses Tief wies zwar keine eigenen Luftmassengrenzen auf, stattdessen trat am 12. Juni 2019, 00 UTC, in der Analyse eine Konvergenzlinie in Erscheinung, die sich von Rügen bis nach Ostbayern erstreckte.

Abbildung 3: Mittel der Höhe der 500 hPa-Geopotenialfläche (links) im Zeitraum 10. bis 12. Juni 2019. Datengrundlage: NOAA/OAR/ESRL PSD, Boulder, Colorado, USA,  http://www.esrl.noaa.gov/psd/

Abbildung 4: Bodendruckanalyse, 11.06.2019, 00 UTC.Quelle: DWD / FU Berlin

2.2.2 Modellierung der atmosphärischen Umgebungsbedingungen

Über Deutschland lagerten insbesondere in der Osthälfte sehr warme und feuchte Luftmassen, während sich westlich der Luftmassengrenze des Tiefs „Klaus“ deutlich kühlere aber ebenfalls sehr feuchte Luft präsent war. An allen drei Tagen stiegen die Lufttemperaturen im Osten auf Werte um oder nüber 30°C (zum Beispiel Coschen in Brándenburg am 12. Juni: 35.1°C). Im Westen und Südwesten hingegen kamen die Temperaturen gebietsweise noch nicht einmal über 20°C hinaus.

Berechnungen mit Hilfe von Modellanalysen des hochauflösenden Wettervorhersagemodells COSMO-D2 des Deutschen Wetterdienstes, die auf stündlicher Basis auch aktuelle Beobachtungsdaten meteorologischer Messgrößen miteinbeziehen (sogenannte Assimilationsanalysen), verdeutlichen den bemerkenswerten Feuchtegehalt der Luftmasse über der Osthälfte Deutschlands und seinen östlichen Nachbarstaaten zwischen dem 10. und 12. Juni 2019 (Abbildungen 5 a-c). Der dargestellte vertikal integrierte Gehalt an Wasserdampf einer Luftsäule (TQV) ist ein Maß sowohl für das für die Entwicklung konvektiver Zellen zur Verfügung stehende als auch für das durch diese Zellen potentiell niederschlagbare Wasser. Während am 10. Juni über ganz Deutschland bereits verbreitet hohe TQV-Werte zwischen 30 und 35 kg m-2 erreicht wurden, lagen die Werte an den beiden Folgetagen in den östlichen Bundesländern und den westlichen Regionen Polens zwischen für Mitteleuropa extrem hohen 35 und 45 kg m-2, mit den höchsten Werten jeweils entlang der bodennahen Konvergenzzonen, an denen sich die stärksten Gewitter bildeten.

Als stark konvektionsfördernd erwies sich neben der im Übermaß vorhandenen Feuchte die sehr hohe Instabilität der vorhandenen Luftmasse. Der Surface Lifted Index (SLI), der die Differenz der Temperatur eines adiabatisch aufsteigenden Luftpakets und der Luftmassentemperatur im 500 hPa-Druckniveau angibt, stellt ein sehr gutes Instabilitätsmaß dar (e.g. Galway, 1956; Haklander & van Delden, 2003; Mohr & Kunz 2013) – ist SLI < 0, dann ist das Luftpaket wärmer und steigt auftriebsbedingt von alleine weiter auf. So kann hochreichende Konvektion entstehen. Ein Blick auf die COSMO-Analysen in den Abbildungen 5 d-f belegt anhand der rötlichen Farben die instabile Schichtung in den östlichen Gebieten Deutschlands.

Abbildung 5: Vertikal integrierter atmosphärischer Wasserdampf (a-c; in kg m-2), Surface Lifted Index (d-f; in K) und Significant Hail Parameter (g-i) über Mitteleuropa, dargestellt um jeweils 16 UTC (18 MESZ) für den 10. Juni (a,d,g), 11. Juni (b,e,h) und 12. Juni (c,f,i), berechnet aus COSMO-D2-Assimilationsanalysen. Man beachte, dass SHIP keinen Wert annimmt, wenn kein Hebungskondensationsniveau bestimmt werden konnte (leicht blaue [Ozean] und grüne [Land] Flächen in g-i).

Am 10. Juni wurden die niedrigsten SLI-Werte noch im Vorfeld der Münchener Hagelzelle mit -5 bis -8 K erreicht. Am 11. und 12. Juni unterschritten die Werte in den jeweiligen Konvergenzbereichen verbreitet außergewöhnlich niedrige -8 K, regional sogar -10 K.

Damit einher gingen extrem hohe Werte der konvektiv verfügbaren potentiellen Energie (CAPE; nicht gezeigt). Die Mixed-Layer CAPE, die die verfügbare Energie für ein mittleres Luftpaket der untersten Troposphärenschichten angibt, lag verbreitet um 2500 J kg-1, lokal jenseits von 4000 J kg-1. Die Most Unstable CAPE, die die verfügbare Energie für das am hochgradigsten instabile Luftpaket darstellt, erreichte lokal gar über 5000 J kg-1. So verwundert es nicht, dass der Significant Hail Parameter (SHIP; NOAA SCP, 2014) als Indikator für Hagelunwetter in den betroffenen Gebieten anschlug. Der SHIP kombiniert die MUCAPE multiplikativ mit dem Wasserdampfmischungsverhältnis in der Höhe des Hebungskondensationsniveaus (mit TQV korrelierend), dem mitteltroposphärischen vertikalen Temperaturgradienten (mit SLI korrelierend), der Temperatur im 500 hPa-Druckniveau sowie der vertikalen Windscherung zwischen 0 und 6 km über Grund (Deep Layer Shear, DLS). Analysen der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) in den USA zeigten, dass Gewitter, die Hagelkörner mit einem Durchmesser bis knapp 4 cm produzierten, SHIP-Werte zwischen 0.3 und 1.0 aufwiesen, während Hagelkorngrößen größer als rund 6 cm bei Werten zwischen 1.0 und 3.0 (und bisweilen höher) beobachtet wurden. Wie in Abbildung 5 g-i zu sehen, lag der SHIP am 10. Juni im Südosten Bayerns um oder leicht über 1.0, was sich gut mit den beobachteten Hagelkorngrößen von rund 5 cm deckt. Am 11. und 12. Juni erreichten die Werte im Konvergenzbereich verbreitet rund 2.0, regional wurde sogar vom Vogtland bis ins Stettiner Haff in den odernahen Gebieten sowie im Bereich der Mecklenburgischen Seenplatte sogar die 3.0-Marke überschritten.

Die atmosphärischen Bedingungen für das Auftreten heftiger Hagelunwetter waren an allen drei Tagen überaus günstig, zumal sowohl die DLS als auch die sturm-relative Helizität (SRH) hohe Werte annahmen. Diese fördern eine ausgeprägte Organisationsstruktur der entstehenden konvektiven Zellen (Markowski & Richardson, 2010), welche ihrerseits zur Langlebigkeit und maximalen Intensität der Zellen entscheidend beiträgt. Hohe SRH-Werte sind darüber hinaus ein guter Indikator für Superzellen, deren Lebensdauer durch die Präsenz rotierender Aufwinde – wie im Fall der Münchner Hagelzelle – viele Stunden betragen kann.

2.2.3 Vertikale Windscherung

Tabelle 1: Windgeschwindigkeit und Windrichtung in verschiedenen Höhenniveaus. Radiosondenaufstieg von München-Oberschleißheim, 10. Juni 2019, 12 UTC. Datengrundlage: University of Wyoming

Zur Ausbildung von Superzellen ist eine große vertikale Windscherung sowohl in Bezug auf die Geschwindigkeit als auch in Bezug auf die Richtung unabdingbar. Zur Beurteilung der Windscherung können Radiosondenaufstiege herangezogen werden, die bei ihrem Aufstieg eine Vertikalsondierung der Troposphäre und eine Messung der wichtigsten Parameter durchführen.

Der Radiosondenaufstieg von München-Oberschleißheim vom 10. Juni 2019, 12 UTC, lässt die für Superzellen günstigen Windverhältnisse in der Troposphäre erkennen (Tabelle 1). Auch wenn bodennah zumindest am Radiosondenstandort nahezu Windstille herrschte, wehte der Wind in rund 2000 Meter Höhe mit 15 kt aus ostsüdöstlichen Richtungen, darüber schließt sich eine Winddrehung auf Südwest und vor allem eine rasche Windgeschwindigkeitszunahme an. Der bei NOAA für die Entstehung von Superzellen  genannte  Schwellenwert von 40 kt (0-6 km Höhe) wurde über Bayern am 10. und 11. Juni jeweils übertroffen.

2.3. Zugbahnen

Abbildung 6a: 24-Stunden-Summe des Niederschlags im Zeitraum 10. Juni 2019, 06 UTC, bis 11. Mai 2019, 06 UTC auf Basis des Radolan-Datensatzes des Deutschen Wetterdienstes. Karte: B. Mühr
Abbildung 6b: Regensumme des Niederschlags im Zeitraum 11. Juni 2019, 06 UTC, bis 12. Mai 2019, 06 UTC auf Basis des Radolan-Datensatzes des Deutschen Wetterdienstes. Karte: B. Mühr

Langlebige Superzellen hinterlassen auch im Niederschlagsbild eines 24-Stunden-Zeitraums ihre Spuren und treten als schmale aber langgezogene linienhafte Struktur in Erscheinung (Abbildung 6). Die in der Regel hohe Zuggeschwindigkeit lässt eine nur recht kurze Einwirkzeit der Gewitter an einem Ort zu; deswegen sind zwar große Niederschlagsintensitäten (inklusive Hagel) zu erwarten, die absoluten Niederschlagsmengen erreichen aber nur selten außerordentlich hohe Werte. Zugbahnen treten besonders eindrucksvoll am 10. Juni 2019 über Bayern hervor, aber auch im Norden, Osten und in der Mitte bilden sich einige Zugbahnen ab. Der großflächige und kräftige Niederschlag in Baden-Württemberg und – weniger intensiv – im Westen verdankt seine Entstehung weniger einzelnen Gewittern als vielmehr größerer und konvektiv durchsetzter Niederschlagsgebiete. Vom Alpenrand durch ganz Bayern und bis in den Nordosten Deutschlands verläuft eine weitere Gewitterzugbahn, die in der Niederschlagsanalyse vom 11. Juni 2019 besonders markant aufscheint. Die Superzelle, die vor allem am Ammersee und im Westen Münchens großen Hagel brachte, nahm ihren Anfang mutmaßlich am 10. Juni 2019 gegen 15:25 MESZ in Vorarlberg und verlagerte sich in den darauffolgenden Stunden in etwa entlang einer Linie Kempten – München – Cham bis nach Tschechien und trat später wieder in Sachsen auf deutsches Gebiet über, bevor sich die Spur westlich von Bautzen verliert. Insgesamt könnte diese Superzelle innerhalb von 09:25 Stunden eine Strecke von rund 550 km zurückgelegt haben, was in etwa einer durchschnittlichen Verlagerungsgeschwindigkeit von 58 km/h entspräche (Tabelle 2).

Abbildung 7: Abschätzung der Zubahn einer Superzelle am 11./12. Juni 2019. Abschätzung nach Betrachtung von Radarbildern. Die Zelle nahm ihren Anfang möglicherweise bereits über Südtirol.

Am Nachmittag des 11. Juni 2019 entstand über Südtirol unweit von Meran ein Gewitterkomplex, der sich nordwärts über das Inntal hinweg verlagerte und möglicherweise nach zwischenzeitlicher Abschwächung gegen 18:05 MESZ zwischen Lenggries und Kreuth zu einer Superzelle heranreifte. Ihr weiterer Weg führte sie durch ganz Bayern, und auch diese Superzelle kann möglicherweise bis nach Mitternacht überdauert haben, wo sich dann nordwestlich von Berlin ihre Spur verlöre. Daraus ergäbe sich bei einer Lebensdauer und einer zurückgelegten Strecke von rund 700 km eine durchschnittliche Verlagerungsgeschwindigkeit von 71 km/h (Tabelle 2).

Tabelle 2: Abschätzung der Verlagerung zweier Superzellen am 10./11. bzw. 11./12. Juni 2019 nach Betrachtung von Radarbildern. Die Superzellen könnten bei einer Lebensdauer von jeweils mehr als 9 Stunden 550 km respektive 700 km zurückgelegt haben.

2.4.   Niederschlag und Wind

Superzellen gehen des Öfteren mit enormen Windgeschwindigkeiten einher, die an ihrem Vorderrand am Boden unvermittelt und noch vor Einsetzen des Niederschlags auftreten und erhebliche Schäden anrichten können. Auch  vom 10. bis zum 12.Juni 2019 kam es in Deutschland selbst im Binnenland vereinzelt zu Orkanböen, wie in Mühldorf/Inn mit 120 km/h, macherorts wurden die höchsten Windgeschwindigkeiten im Sommer seit Aufzeichnungsbeginn verzeichnet (Tabelle 3). Angermünde erzielte mit Spitzenböen bis 94.7 km/h am 12.06.2019 einen  neuen Juni-Monatsrekord genauso wie Heckelberg in Brandenburg mit 88.9 km/h.

Tabelle 3: Windgeschwindigkeiten (maximale Böen) an Stationen des Deutschen Wetterdienstes mit mindestens Bft 10 (ab 88 km/h).

Gebietsweise meldeten Stationen in Deutschland enorme Regensummen, es waren auch einige neue Allzeit-Rekorde für Tagesregenmengen dabei. In Potsdam regnete es mit 79.7 mm an einem Junitag noch nie soviel wie am 11. Zu solchen Regensummen trugen aber entweder Gewitter bei, von denen gleich mehrere ihre nasse Fracht über derselben Station abluden oder die Niederschläge fielen in Verbindung mit längeranhaltenden gewittrigem Regen. Die Münchener Hagelzelle beispielsweise zeichnete in Oberschleißheim am 10. Juni 2019 für vergleichsweise bescheidene 37.8 mm verantwortlich – der größte gemessene Wert entlang der Zugbahn.  

Tabelle 4: 24-stündige Regensummen an Stationen des Deutschen Wetterdienstes (Auswahl)

2.5. Hagel und Blitzaktivität

Augenzeugenberichten zufolge gingen am 10. Juni 2019 in Bayern Hagelgeschosse bis zu Tennisballgröße nieder. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord sprach von Hagel in Golfballgröße, der Deutsche Wetterdient von Hagel mit 5 cm Durchmesser. In München und Umgebung gingen zahreiche Autoschreiben und Dachfesnter zu Bruch.

Die European Severe Weather Database gibt unter anderem Auskunft über aktuelle und vergangene Hagelereignisse in Europa. Augenzeugen und Sofortmelder berichteten von Hagelschlossen am 11. Juni 2019 mit einem Durchmesser von mehr als 10 im Westen Polens sowie auf dem nördlichen Balkan.

Abbildung 8: Vergangenen und aktuelle Hagelmeldungen von Ereignissen mit einem Hagelkorndurchmesser von mindestens 5 cm. Quelle: www.eswd.eu

Die gewitterreichen Tage vom 10. bis zum 12. Juni 2019 zeichenten sich durch eine außerordentlich hohe Blitzaktivität aus; sowohl am 10. als auch am 11. Juni entluden sich in Mitteleuropa weit mehr als 100.000 Blitze. In der kühleren und weniger energiereichen Luftmasse über dem Westen und Nordwesten des Landes war die Gewitteraktivität etwas gedämpft, während es in der Osthälfte besonders verbreitet und häufig blitzte.

Abbildung 9a: Blitzverteilung am 10. Juni 2019 in Mitteleuropa. Die Farben kennzeichnen jeweils das Alter der Blitze am betreffenden Tag. Quelle: blitzortung.org
Abbildung 9b: Blitzverteilung am 11. Juni 2019 in Mitteleuropa. Die Farben kennzeichnen jeweils das Alter der Blitze am betreffenden Tag. Quelle: blitzortung.org

Literatur und Internetquellen:

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