Starkregen / Hochwasser Januar 2021 (Deutschland)
1. Februar 2021 – Report No. 1
Autor: Bernhard Mühr
1. Zusammenfassung
Nach einem winterlichen Witterungsabschnitt, der zwar nicht mit extremer Kälte aber gebietsweise ergiebigen Schneefällen einherging, setzte sich im südlichen Mitteleuropa gegen Ende des Monats Januar 2021 regenreiches und mildes Wetter durch. Eingebettet in eine kräftige westliche Strömung transportierten mehrere Tiefdruckgebiete feuchte und sehr milde Luftmassen heran. Bis in Höhen über 1500 Meter setzte starkes Tauwetter ein, das zusammen mit intensiven Regenfällen die Pegel zahlreicher Flüsse in der Mitte und im Süden Deutschlands und in der Nordschweiz steigen ließ.
Die meisten Flüsse in Baden-Württemberg, in Nordbayern sowie in Mittel- und Osthessen führten ein Hochwasser mit einer Wiederkehrperiode von 2 bis 10 Jahren. Vereinzelt traten allerdings auch Pegelstände auf, wie sie nur alle 20 bis 50 Jahre einmal vorkommen. In Mittel- und Osthessen konnten sogar an einzelnen Pegeln neue historische Höchstwasserstände beobachtet werden. Auch die Pegel und Abflüsse der großen Ströme Rhein und Donau blieben nicht unbeeinflusst. Am Pegel des Rhein in Karlsruhe-Maxau erreichte der Wasserstand in der Nacht zum 31.01.2021 mit 851 cm seinen Scheitwert, das entspricht einem 5- bis 10-jährigen Hochwasser.
Zu größeren Ausuferungen und Überflutungen kam es vor allem an den Unterläufen der aus dem Schwarzwald west- und südwärts entwässernden Flüsse (z.B. Gutach), im nördlichen Umfeld des Bodensees (z.B. Schussen), im Norden Bayern und im Osten Hessens (Einzugsgebiete von Fulda und Nidder). Eine Schutzmauer des Seemenbachs hielt dem Wasserdruck nicht stand und das Wasser ergoss sich in die Altstadt Büdingens in Hessen (Abbildung 1).
2. Meteorologische Informationen
2.1 Großräumiges Strömungsmuster über Europa und dem Nordatlantik
Das Satellitenbild (Abbildung 2) vom 28. Januar 2021, 12 UTC, zeigt anschaulich die massiven Wolkenfelder der wetterbestimmenden Tiefdruckgebiete, die am Ende des Monats für den milden und nassen Witterungsabschnitt in Mitteleuropa verantwortlich zeichneten. Antizyklonal gekrümmt befindet sich bereits das ausgedehnte Wolkenfeld der Warmfront des Tiefs „Nicolai“ über Deutschland, das am Nordrand des Hochdruckgebietes über dem westlichen Mittelmeerraum/Iberische Halbinsel den Weg nach Mitteleuropa gefunden hat. Zur gleichen Zeit formierte sich nordwestlich der Biskaya bereits das Tiefdruckgebiet „Olaf“ und auch der Wolkenwirbel des Tiefdruckgebietes „Peter“ über dem zentralen Nordatlantik tritt schon eindrucksvoll in Erscheinung.
Alle drei für das Niederschlagsgeschehen in Mitteleuropa relevanten Tiefdruckgebiete waren eingebettet in eine kräftige westliche Höhenströmung, die im Laufe des 27.01.2021 auf Europa übergriff. Abbildung 3 gibt Auskunft über die Verteilung der 300 hPa-Fläche des Geopotentials sowie die Windgeschwindigkeit in 300 hPa (rund 9 km Höhe). Über Osteuropa befindet sich noch der massive Höhentrog, der südwärts bis in den Nordosten Afrikas vorstößt und zuvor auch Mitteleuropa das winterliche Wetter gebracht hatte. Über dem Nordatlantik verläuft die stramme westliche Höhenströmung auf einer ungewöhnlich südlichen Bahn und mit Geschwindigkeiten von häufig mehr als 200 km/h. Die Entwicklung und Position der Bodentiefdruckgebiete manifestiert sich auch in 300 hPa in den gut ausprägten wellenförmigen Strukturen im Isotachenfeld auf der kalten Seite (Nordseite) der Frontalzone. Besonders augenfällig werden die wellenförmigen Fortsätze südlich von Irland, südlich von Grönland und vor der Ostküste der USA.
Jeweils auf der Vorderseite (Südostseite) der Tiefdruckgebiete werden subtropische Luftmassen in die Zirkulation mit einbezogen und gelangen mit viel Schwung aus Westen und Südwesten nach West- und Mitteleuropa. In Abbildung 4 zeichnet sich anhand der gelben und orangefarbenen Farbflächen der hohe Feuchtegehalt der subtropischen Luft im 700 hPa-Niveau besonders gut ab. Mit dem Tief „Nicolai“ hatte sich bis zum 28.01.2021, 12 UTC, milde und feuchte Luft aus Südwesten mit Niederschlägen bereits etwa bis zur Elbe durchgesetzt. Stromaufwärts heben sich gut die feucht-warmen Luftmassen westlich von Irland ab, wie sie sich spiralförmig um das Zentrum des Tiefs „Olaf“ anordnen. Noch eindrucksvoller treten die feucht-warmen Luftmassen 2000 Kilometer weiter im Südwesten in der Zirkulation des Tiefs „Peter“ in Erscheinung.
Für ein intensives Tauwetter bis in die Hochlagen und maximaler Schmelzwasserproduktion bedarf es neben hoher Temperaturen auch Wind, der auch an geschützen Stellen und in engen Tälern die vorhandene Kaltuft vollständig auszuräumen vermag. Mit den atlantischen Tiefdruckgebieten nahmen am 28. und 29.01.2021 die horizontalen Luftdruckunterschiede in der Südhälfte Deutschlands stark zu. Südwestlich einer Linie Münsterland – Oberpfalz konnten selbst in den tiefen Lagen vielfach stürmische Böen und Sturmböen verzeichnet werden, auf dem Feldberg/Schwarzwald und auf der Zugspitze erreichte der Wind in Böen sogar Orkanstärke.
Die Temperaturverhältnisse im 850 hPa-Niveau (in rund 1500 Metern Höhe) und den Bodendruck am 29.01.2021, 00 UTC, gibt Abbildung 5 wieder. Mit der insgesamt recht weit südlich verlaufenden Zugbahn der Tiefdruckgebiete konnte sich die milde Meeresluft nicht überall in Deutschland durchsetzen. So bildete sich etwa entlang der Elbe eine scharfe Luftmassengrenze aus, nördlich derer kalte Luftmassen für eine Fortsetzung des winterlichen Witterungsabschnittes sorgten. Im 850 hPa-Niveau konnten ganz im Nordosten -6 °C analysiert werden, während es im Südwesten des Landes um +6 °C waren. Der Zustrom der milden und feuchten Luftmassen nach Südwesteuropa und ins südliche Mitteleuropa setzte sich bis zum 30.01.2021 fort. Bis zum 31.01.2021, 00 UTC, verlagerte das Tiefdruckgebiet „Peter“, das in Abbildung 5 noch westlich von Spanien aufscheint, seinen Schwerpunkt nach Zentralfrankreich (Abbildung 6). Damit drehte die Strömung auch im Süden Deutschlands schließlich auf Nord bis Ost und Kaltluft konnte vorübergehend bis zum Hochrhein Platz greifen.
Mit Ankunft der kälteren und trockeneren Luftmassen kamen die Niederschläge weitgehend zum Erliegen; nennenswerte Regenmengen konnten tagsüber am 31.01.2021 nur noch ganz im Süden von Baden-Württemberg verzeichnet werden, dort blieb der wellende Frontenzug von „Peter“ noch eine Zeitlang niederschlagswirksam (Abbildung 6).
2.2 Niederschlag
Mit Ankunft der subtropischen Warmluft setzte im äußersten Südwesten Deutschlands in der zweiten Hälfte der Nacht zum 28.01.2021 kräftiger Niederschlag ein, der rasch bis in die Hochlagen in Regen überging. Der Südschwarzwald und das Allgäu verzeichneten bis zum Morgentermin um 06 UTC am 28.01.2021 bereits Regensummen von mehr als 10 mm (Tabelle 1). Besonders regenreich ging es am 28.01.2021 zu (Abbildung 7a), als fast in der gesamten Südwesthälfte Deutschlands mehr als 15 mm zusammenkamen. Eine Ausnahme bildeten nur wenige Gebiete wie beispielsweise in der Pfalz oder Gebiete im Lee des Schwarzwaldes.
Tabelle 1: Tagesniederschlagsmengen und 96-Stundensumme ausgewählter Stationen in Deutschland vom 27.01.2021, 06 UTC, bis zum 31.01.2021, 06 UTC. Daten: DWD
Gebietsweise mehr als 40 mm traten am 28.01.2021 in Teilen des Westerwaldes, im Vogelsberg, Teilen der Rhön und des Spessarts auf, darüber hinaus gebietsweise im Schwarzwald und im Allgäu (Abbildung 7b). Todtmoos im Südschwarzwald registrierte eine 24-Stundensumme des Niederschlags von 86.6 mm. Nicht ganz so ergiebig fielen die Niederschläge am 29.01.2021 aus, als sich das Niederschlagsgeschehen in der Mitte Deutschlands konzentrierte; im Thüringer Wald kamen örtlich mehr als 40 mm zusammen. Die höheren Lagen Süddeutschlands waren mit 10 bis 40 mm dabei (Abbildung 7c). Am 30.01.2021 blieb es nördlich des Mains in der von Norden nachrückenden Kaltluft schon weitgehend trocken, im Süden wurden kaum noch 30 mm erreicht (Abbildung 7d).
Das gesamte Niederschlagsereignis ging mit Niederschlagsmengen einher, die in der Spitze mehr als 150 mm innerhalb von 96 Stunden erreichten (Abbildung 8). Todtmoos im Südschwarzwald meldete 162.2 mm, die mittlere Niederschlagsmenge in einem Monat Januar beträgt dort 216 mm.
3. Auswirkungen
3.1 Pegel
3.1.1 Pegel in Baden-Württemberg
Mit den ergiebigen und intensiven Regenfällen reagierten die Pegel der kleineren Flüsse insbesondere in den Mittelgebirgen sofort und zeigten einen raschen Anstieg. Die höchsten Pegelstände an den kleinen und mittleren Flüssen in Baden-Württemberg im Laufe des 29.01.2021 auf (Abbildungen 9 bis 11). An den meisten Flüssen im Bundesland lagen die Pegel im Bereich eines 2- bis 5-jährigen Hochwassers. Vereinzelt wurden allerdings auch deutlich höhere Pegelstände und Abflüsse beobachtet. Die Schussen in Oberschwaben zeigte am Pegel Gerbertshaus einen rasanten Anstieg (Abbildung 11a), der in der Nacht 29./30.01.2021 bei 449 cm gipfelte – ein Ereignis, wie es dort statistisch nur einmal in 50 Jahren vorkommt (50-jähriges Hochwasser: 453 cm). Die Schussen und einige Hochwasser führende ortsansässige Bäche setzten großflächig Wiesen und überwiegend landwirtschaftlich genutzte Flächen unter Wasser (Abbildung 13), im Gemeindegebiet Meckenbeuren wurden auch einige Gebäude in Mitleidenschaft gezogen; die Feuerwehr Meckenbeuren war im Dauerseinsatz. Auch andere kleinere Flüsse in Baden-Württemberg erlebten vereinzelt 10- bis über 20-jährige Hochwasser.
Zeitverzögert reagierten auch die Pegel der großen Flüsse Rhein, Neckar und Donau. Der Scheitel der Hochwasserwelle lief im Rhein am Pegel Maxau am 30.01.2021 gegen 02 UTC durch (Abbildung 11b). Der Hochwasserscheitelwert von 851 cm entsprach dort einem 5- bis 10-jährigen Hochwasserereignis. Das Hafensperrtor in Karlsruhe wurde geschlossen, der Rhein überflutete einige unfernahe Bereiche (Abbildung 12). Die Pegelstände am Neckar repräsentierten ein etwa zweijähriges Hochwasser, die der Donau meist ein zwei- bis fünfjähriges Hochwasser (z.B. Pegel Hundersingen).
Abbildung 9 (oben) zeigt den Verlauf des Niederschlags anhand von Stundenwerten sowie die Summenkurve in Freudenstadt im Zeitraum 28.01.2021, 01 UTC, bis zum 31.01.2021, 06 UTC, dazu den Temperaturverlauf im selben Zeitraum. In Abbildung 9 (unten) ist der Verlauf des Pegels der Murg in Baiersbronn für den Zeitraum 28.-31.01.2021 dargestellt. Fast ohne Zeitverzug begann mit Einsetzen des Niederschlags und Tauwetters am Morgen des 28.01.2021 auch der Anstieg des Pegels am Oberlauf der Murg, der innerhalb von nur 6 Stunden von 40 cm auf 120 cm zulegte. Der Verlauf des Murgpegels in Baiersbronn spiegelt die Niederschlagsverhältnisse wenige Kilometer entfernt in Freudenstadt unmittelbar wider. Mit dem Ende des mehrtägigen Niederschlagsereignisses am 31.01.2021 gegen 00 UTC ging auch der Pegel der Murg beständig zurück.
Ein ganz ähnlicher und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Niederschlag und Pegelverlauf lässt sich auch bei den Niederschlagsmesswerten von Todtmoos und dem Wasserstand der Kleinen Wiese am Pegel Tegernau feststellen (Abbildung 10). Die Niederschläge und große Mengen an zusätzlichem Schmelzwasser erreichten im Einzugsgebiet der Kleinen Wiese auf kurzem Wege den Fluss. Selbst der kurzzeitige besonders heftige Regen am 29.01.2021 (8 mm innerhalb einer Stunde) tritt als Abflussspitze im Pegelverlauf unmittelbar in Erscheinung. Über ein paar Stunden hinweg trockene Abschnitte werden entsprechend in gleichbleibenden oder sinkenden Pegelständen abgebildet. Die Niederschläge im Einzugsgebiet der Kleinen Wiese, die an der Niederschlagsmessstation in Todtmoos innerhalb von 72 Stunden 146 mm erreichten, führten zu einem 10- bis 20-jährigen Hochwasser.
3.1.2 Pegel in Bayern
Auch in Bayern führten zahlreiche Flüsse Hochwasser. An einigen Pegeln übertrafen die Wasserstände am 29.01.2021 sogar die Schwellenwerte der höchsten Meldestufe 4 (zum Beispiel an der Schwabach am Pegel Büg), Abbildung 14a; das Hochwasser dort hat eine Wiederkehrperiode von 5 bis 10 Jahren. Hohe Wasserstände zeigte einen Tag später der Oberlauf des Mains, wo am Pegel Mainleus, wenige Kilometer westlich von Kulmbach, die Meldestufe 3 überschritten wurde (Abbildung 14b). Noch einen Tag später, am 31.01.2021, erreichte die in der Donau nun wesentlich breitere Hochwasserwelle mit ihrem Scheitel auch den Pegel in Straubing (Abbildung 14c). In Südbayern blieben größere Pegelausschläge weitgehend aus; an ihrem Unterlauf übertraf die Iller am Pegel Wiblingen die Hochwassermarke 2 nur knapp.
3.1. Pegel in Hessen
Tiefdruckeinfluss mit Wind, milden und feuchten Luftmassen führte auch in Hessen in Vebindung mit Schneeschmelze zu Hochwasser an etlichen Flüssen. Besonders in Mittel- und Osthessen kam es zu Ausuferungen und Überflutungen. An einigen Pegeln wurde die höchste Meldestufe 3 überschritten, vereinzelt sogar auch historische Höchstwasserstände. Das gelang beispielsweise am Bleichenbach im Niddergebiet oder am Oberlauf der Haune, einem rechten Fuldazufluss (Abbildung 15a-d).
In Büdingen, einer Stadt im Wetteraukreis, hielt eine Schutzmauer am Seemenbach dem Wasserdruck nicht stand. Große Wassermassen ergossen sich in die Altstadt und überschwemmten Straßenzüge, einige Keller liefen voll (Abbildung 16). Auch anderswo in Hessen waren mehrere Straßen nicht befahrbar. Im Landkreis Fulda in Osthessen rückte die Feuerwehr zu mehr als 100 Einsätzen aus.
4. Bewertung
Sowohl das Niederschlagsereignis als auch das durch die Niederschläge und Schmelzwasser in Teilen Deutschlands ausgelöste Hochwasser können in der Gesamtbetrachtung nicht als Extremereignis bezeichnet werden.
Die größten Tagesniederschlagsmengen traten im Südschwarzwald mit 86.6 mm auf (Todtmoos), innerhalb von 48 Stunden erreichten die Regenmengen Werte bis 120.4 mm, und während eines 72-stündigen Zeitraums gingen dort bis zu 146.2 mm nieder.
Mit KOSTRA 2010, der koordinierten Starkniederschlagsregionalisierungen und -auswertungen, stellt der DWD ein Werkzeug zur Verfügung, das Aussagen über die Höhe und Eintrittswahrscheinlichkeiten von Starkregenereignissen an einem beliebigen Ort in Deutschland erlaubt. KOSTRA stellt Informationen für verschiedene Dauerstufen des Niederschlags und Jährlichkeiten zur Verfügung und dient allgemein in Deutschland als Bemessungsgrundlage für Niederschlagsabflüsse. Gemäß KOSTRA entsprechen die gefallenen Niederschlagsmengen in Todtmoos einem 3-jährigen Ereignis (Dauerstufe 24 Stunden), die 48-stündige Regensumme kommt alle 4 Jahre einmal vor, und für die Dauerstufe 72 Stunden ergibt sich eine Wiederkehrperiode von rund 5 Jahren. Für die Station Baiersbronn-Mitteltal im Nordschwarzwald berechnen sich etwas kürzere Wiederkehrperioden von bis zu 3 Jahren, noch weniger außergewöhnlich erscheinen die Niederschlagsmengen im Allgäu.
Bei den meisten Pegeln der Hochwasser führenden Bäche und Flüsse betrugen die Jährlichkeiten 2 bis 5 Jahre. Nur ganz vereinzelt, wie beispielsweise an der Schussen in Oberschwaben, oder an wenigen kleineren Flüssen im Einzugsgebiet von Nidder und Fulda konnten Pegelstände mit einer Wiederkehrperiode von 5 bis 50 (Schussen) Jahren festgestellt werden. Das Niederschlags- und Hochwasserereignis im Januar 2021 verlief weitgehend glimpflich.
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