Starkregen, November 2021 (Nordostdeutschland)
07. November 2021 – Report No. 1
Autor: Bernhard Mühr
Ereignis: Starkregen – Tief „Peter“
- Wann: 04. – 05. November 2021
- Wo: Nordostdeutschland/Westpolen
- Daten: RADOLAN / KOSTRA 2010 / GEM / DWD
- Berechnungen und Grafiken: Bernhard Mühr und Tristan Semsch
1. Analyse
Am 4. November 2021, 00 UTC, erstreckte sich ein riesiger Langwellentrog mit meridionaler Achse vom Nordmeer über die Nordsee, Frankreich und das westliche Mittelmeer hinweg bis nach Nordwestafrika. Mit dem Höhentrog korrespondierte auch am Boden Tiefdruck, der ganz Skandinavien und Mitteleuropa überdeckte. Über Norditalien trat um 00 UTC das Tief „Peter“ mit seinem Zirkulationszentrum in Erscheinung. Es wanderte in der Nacht zum 4. November 2021 und am Tage zügig über die Alpen und den Westen Österreichs hinweg in Richtung Norden. Am Abend erreichte das Wirbelzentrum von „Peter“ die Ostseeküste im Bereich der Odermündung (Abbildung 3 oben und unten). Zu diesem Zeitpunkt hatte das Bodentief seinen Entwicklungshöhepunkt erreicht. Das Satellitenbild (Abbildung 2) zeigt das ausgedehnte Wolkenfeld des Tiefs mit dem Kern etwa gegen 10 UTC in der Nähe Berlins.
Über das großräumige Strömungsmuster am 5. November 2021, 00 UTC, gibt Abbildung 4 (oben) Auskunft mit der Darstellung der 300 hPa-Geopotentialfläche und dem Wind in diesem Niveau. Die Isohypsen zeichnen den riesigen Langwellentrog nach, die Farbflächen repräsentieren den Wind in rund 9 km Höhe. Der Jetstream als Band mit den höchsten Windgeschwindigkeiten mäandriert mit den Höhentrögen und um diese herum. Die Windgeschwindigkeiten betrugen am 15. November 2021, 00 UTC, über dem östlichen Mitteleuropa mehr als 200 km/h.
Lage und Ausdehnung des dominierenden Höhentroges lassen sich zudem aus Abbildung 4 (unten) ersehen. Ebenso eindrucksvoll wie in 300 hPa in Tropopausennähe erstreckt sich auch in der mittleren Troposphäre – im 500 hPa-Niveau – der Langwellentrog über Deutschland und Frankreich hinweg bis nach Südspanien. In rund 5.5 km Höhe zeichnet sich am Ostrand des Höhentroges allerdings ein abgeschlossenes Höhentief ab, das in Abbildung 4 (unten) als rundes, grünes Gebiet über der westlichen Ostsee aufscheint. Mit ihm korrespondiert das Bodentief „Peter“; die Isobaren des auf Meeresniveau reduzierten Bodenluftdrucks werden als dünne schwarze Linien dargestellt. Mit einem Kerndruck von weniger als 994 hPa am 21. November 2021, 00 UTC, liegt das Zentrum von „Peter“ an der westpolnischen Ostseeküste. Die jeweils tiefsten Werte von Bodendruck des Bodentiefs und dem Geopotential des Höhentiefs liegen übereinander und weisen somit eine vertikale Achse auf. Die Entwicklung des Bodentiefs ist damit abgeschlossen und die langsame Abschwächung beginnt. Zum Analysezeitpunkt zeigt die Isobarendrängung rund um das Zentrum von „Peter“ noch einen recht großen Luftdruckgradienten an, der sich in schweren Sturmböen zum Beispiel am Kap Arkona oder an der Greifswalder Oie manifestierte.
Mit Annäherung und Durchzug von Tief „Peter“ waren insbesondere im Osten Deutschlands und im Westen Polens langanhaltende und ergiebige Niederschläge verbunden. Für solche Niederschlagsereignisse bedarf es immer eines effektiven Feuchtenachschubs, der durch einen zügigen Transport feuchter Luftmassen bewerkstelligt werden muss. Abbildung 5 (oben) zeigt den Feuchtetransport anhand der Geopotentialverteilung in 700 hPa und der Felder der spezifischen Feuchte im selben Niveau (Farbflächen). Das Tief „Peter“ bezieht massiv in seine Zirkulation feuchte Luftmassen ein, die auf langem Weg aus Südwesteuropa und in einem weiten Bogen über Osteuropa um das Zentrum des Tiefs herum bis nach Nordostdeutschland geführt werden. Abbildung 4 (unten) und Abbildung 5 (oben) lassen anhand der Bodendruckgradienten und des Gradienten des Geopotentials auf recht hohe Windgeschwindigkeiten in den unteren 3 Kilometern der Troposphäre schließen.
Sehr feuchte Luft bzw. eine Luftmasse mit einem hohen Wasserdampfgehalt weist in der Regel auf Warmluft hin. Abbildung 5 (unten) verdeutlicht, wie subtropische Warmluft mit Temperaturen von mehr als 10 °C im 850 hPa-Niveau bis in die Ukraine gelangt (rote Farbflächen). Ein Ableger der Warmluft kann zudem in der Nähe des Tiefkerns sowie über der südwestlichen Ostsee, Dänemark und der südöstlichen Nordsee analysiert werden.
Der Herantransport, die Advektion von zunehmend wärmerer und gleichzeitig feuchter Luft stellt einen wirksamen Hebungsantrieb in der mittleren Troposphäre bereit, eine wesentliche Voraussetzung für die Ausbildung umfangreicher Wolken- und Niederschlagsgebiete.
2. Messwerte
Mit der Nordwärtsverlagerung des Tiefs „Peter“ weitete sich nach Mitternacht das ausgedehnte Niederschlagsgebiet von Bayern her nordwärts aus und erfasste ab etwa 03 UTC unter Intensivierung das Erzgebirge. Der Raum Berlin war gegen 07 UTC erreicht (Abbildung 6 (rechts)), bis 12 UTC hatte sich der Regen schließlich bis nach Rügen vorgearbeitet. Im Erzgebirge ließ der Niederschlag unterdessen wieder nach.
Die Niederschlagsmenge summierte sich innerhalb von 17 bis 22 Stunden auf gebietsweise mehr als 50 mm (Tabelle 1). Die größten Regenmengen im Messnetz des Deutschen Wetterdienstes verzeichnete die Station Usedom mit 64.5 mm. Abbildung 7 zeigt die 24-stündigen Regenmengen in Deutschland.
Tabelle 1: 24h Regensumme bis 05.11.2021, 05:50UTC, an Stationen des Deutschen Wetterdienstes.
3. Bewertung
Die Niederschläge am 4./5.11.2021 im Osten Deutschlands waren durchaus ergiebig. Nicht selten wurden neue Rekorde für die höchsten Tagesniederschlagsmengen für den Monat November aufgestellt. Abbildung 8 gibt Auskunft über alle Stationen, an denen die bisherigen maximalen Tagesniederschlagsmengen für den Monat November übertroffen wurden, jeweils bezogen auf die gesamte Messreihe der Stationen. Tabelle 2 listet einige Stationen mit ihren jeweiligen spezifischen Daten auf. In Potsdam beispielweise stellen die am 4.11.2021 gemessenen 50.5 mm einen Niederschlagswert dar, wie er dort zuvor in 130 Jahren an einem Novembertag noch nicht aufgetreten ist.
Tabelle 2: Auswahl an Stationen mit neuen Monatsrekorden (November) der Tagesniederschlagsmenge an Stationen des Deutschen Wetterdienstes.
Die 24-stündigen Niederschlagsmengen entsprachen im Osten Deutschlands weithin einem Niederschlagsereignis, wie es dort im Durchschnitt alle 3 bis 5 Jahre einmal vorkommt. Das DWD-KOSTRA-2010 Verfahren liefert für jeweils 7×7 km² große Rasterzellen für ganz Deutschland und für verschiedene Dauerstufen des Niederschlags die jeweiligen Wiederkehrperioden eines Niederschlagsereignisses. Das KOSTRA-Verfahren beruht auf einer einheitlichen Auswertung von stationsbezogen ermittelten Starkniederschlagshöhen verschiedener Dauerstufen und Wiederkehrintervalle sowie deren Übertragung auf Standorte, für die keine langfristigen Niederschlagsregistrierungen vorliegen. Grundlage für die KOSTRA-Niederschlagsschwellenwerte stellen möglichst lange Zeitreihen von Stations-Niederschlagsmessungen dar. Aus Abbildung 9 geht hervor, in welchen Gebieten bzw. Rasterzellen der am 4.11.2021 gefallene Niederschlag einem Ereignis mit der farblich dargestellten Wiederkehrperiode entsprach. Die Schwellenwerte der Jährlichkeiten eines Niederschlagsereignisses in den 7×7 km²-Rasterzellen können für eine beliebige Dauerstufe (hier 24 Stunden) den KOSTRA-Datensätzen entnommen werden.
4. Flächenmittel des Niederschlags
Für unterschiedliche Flächengebietsgrößen und Aufteilungen lassen sich die Radolan-Niederschlagsinformationen, die in einer horizontalen Auflösung von 1×1 km² vorliegen, zusammenfassen. Abbildung 10 zeigt eindrucksvoll, dass im Osten Deutschlands vor allem in Brandenburg der 24-stündige Niederschlag am 4./5.11.2021 eine Größenordnung erreichte, die dem gesamten durchschnittlichen Monatsniederschlag im November entsprach oder sogar übertraf. Jeweils in den grünlich hervortretenden Gebieten regnete innerhalb von 24 Stunden zum Teil deutlich mehr als üblicherweise in einem gesamten Monat November.
Abbildung 11 gibt Auskunft über den auf die Bundesländer gemittelten Tagesniederschlag, in Abbildung 12 werden als Gebietsgrößen die Einzugsgebiete mittelgroßer Flüsse gewählt, in Abbildung 13 erfolgt die Niederschlagsberechnung für Einzugsgebiete größerer Flüsse und in Abbildung 14 schließlich liegen als Flächeneinheiten die fünfstelligen PLZ-Gebiete zugrunde. Die jeweiligen Spitzenwerte des Niederschlags in den unterschiedlichen Flächeneinheiten lassen sich aus den Tabellen 3 bis 5 ersehen.
Tabelle 3: 24h Regensumme bis 05.11.2021, 0550 UTC, im Flächenmittel von Einzugsgebieten mittelgroßer Flüsse. Datengrundlage: RADOLAN, DWD.
Tabelle 4: 24h Regensumme bis 05.11.2021, 0550 UTC, im Flächenmittel von Einzugsgebieten größerer Flüsse. Datengrundlage: RADOLAN, DWD.
Tabelle 5: 24h Regensumme bis 05.11.2021, 0550UTC, im Flächenmittel von PLZ-Gebieten. Datengrundlage: RADOLAN, DWD.
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